Fried Rosenstock †

Viana Conti: Talking about Fried Rosenstock (German)

2018

Anlässlich der Finissage zur Einzelausstellung
„Escalier descendant un escalier and other stories 1999–2018“
SharEvolution contemporary art, Palazzo Doria 17, Piazza San Matteo
16123 Genua, Italien

Schon der Titel der Ausstellung „Escalier descendant un escalier and other stories 1999–2018“ lässt die geistige Vielschichtigkeit des deutschen Künstlers Fried Rosenstock erkennen, der 1943 in Kassel geboren wurde, vierzig Jahre lang – von 1967 bis 2007 – in Florenz lebte und dann nach Berlin zog, der Hauptstadt, wo er heute lebt und arbeitet.

Der erste Bezugspunkt dieser paradigmatischen Anthologie ist Marcel Duchamp, in dessen „Nu descendant un escalier“ von 1912, laut eigener Aussage, Malerei, Kinematographie, Statik und Dynamik der Chronofotografie zusammentreffen. Der zweite Bezug von logisch-formaler Art ist die Tautologie, eine Sprachform, bei der das Prädikat nochmals wiedergibt, was bereits im Subjekt enthalten ist, hier materialisiert durch ein kleinformatiges Treppchen aus Bronze, das auf einer dreistufigen Holztreppe aus MDF ruht. Sofort wird evident, dass sich damit die post-duchampianische konzeptuelle Komponente mit der Gestik und dem Geist von New-Dada des objet trouvé verbindet. Weiterhin befasst sich der Automatismus des Schreibens auf tautologische Weise mit sich selbst, schreibt auf weißem oder schwarzem Grund, angereichert mit inneren, unbewussten und unerklärlichen Impulsen. Auf die onyrisch-ironische und paradoxe Imagination des Künstlers verweisen verschiedene Arbeiten und Installationen in der Ausstellung, wie zum Beispiel die Sequenz von kleinformatigen Vogeltränken aus weißem Porzellan, dominiert von einem übergroßen, dreidimensionalen Schatten. In Analogie dazu reihen sich konische Abgüsse aneinander, einst in der Toskana geformt. Sie entstanden aus Gusszement, der in die ursprünglich für die Stützpfähle der Weinreben gebohrten Löcher gegossen wurde, so ließ Rosenstock neue Skulpturen entstehen. Und in einem Video umgibt ein leuchtender Nimbus den Kopf des Künstlers.

Indem er mit den gleichen oder ungleichen Zwillingspaaren arbeitet, was auch seiner genetischen Herkunft entspricht, erschafft der Künstler Installationen von kleinen Objekten, die sich von großen Schatten abheben. Beziehungsverhältnisse wie Licht und Schatten, Phosphoreszenz und Dunkelheit, Schwarz und Weiß sind beständige und dialektische Merkmale seiner Kunst.

Auf dem Gebiet des Absurden und des Zufalls leistet sich Fried Rosenstock auch Wortspiele zu deutschen Sprichwörtern, zu semantischen oder akustischen Anklängen der Sprache … „Rosenstock-Birkenstock“, „Musketiere-Muskeltiere“.
Neben der kühlen Ästhetik seiner minimalistischen Installationen bestehen auch die von Zeitlichkeit und wirklichem Leben erfüllten Objekte, mit künstlichen Gebilden oder Fundstücken wie Arzneifläschchen, für den Körper bestimmten Geräten wie ein Irrigator – wieder eine Anspielung auf ein ready-made von Duchamp, Fountain von 1917, mit R. Mutt bezeichnet – Werkzeuge für den Haushalt, Fußsohlen, Sammlungen von Trichtern, Ambossen, barocke Voluten aus Messing, Steine und Pinsel.

Für die Genueser Galerie SHAREVOLUTION von Chiara Pinardi hat der Künstler auch ein stark selbstironisch gefärbtes Ereignis erfunden, „Housing my head“, das an Hieronymus Boschs Gemälde „Die Heilung vom Wahnsinn“ inspiriert ist, welches im Prado aufbewahrt wird. Zwillingsschwestern, die eine weiß, die andere schwarz gekleidet, eine jede mit einem Trichter gleicher Farbe auf dem Kopf, haben mit tadellosen Bewegungen den Kopf und die Füße des schwarz gekleideten und auf dem Boden liegenden Künstlers mit weißen Kartondeckeln „behaust“, die sie mit langen Bändern über ihn zogen. Dann sind sie schweigend die Treppe zur Empore emporgestiegen und haben von dort aus nachdenklich die Szenerie beobachtet. Schließlich sind sie wieder herabgestiegen und haben die zur „Heilung des Wahnsinns“ verwendeten Trichter am Kopf und an den Füßen des Künstlers abgestellt. Dieser hat sich am Ende vor dem Publikum erhoben, welchem vorenthalten wurde, oder er nun vom Wahnsinn geheilt oder ihm endgültig verfallen sei. Während im anliegenden Saal Videos liefen, konnte man Aufnahmen von Fried Rosenstock mit einer enormen Zitrone auf dem Haupt erkennen. Dabei kamen einem Goethes Verse in den Sinn „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?“, auf die der Künstler antwortet: „Ich kenne das Land, wo die Zitronen blühn!“

Mit Wandarbeiten, Installationen, Videos und einer Performance hat Fried Rosenstock sein semantisches Feld umrissen, in dem Anklänge an New-Dada, Fluxus und Konzeptkunst aktualisiert werden.